Für Yamen hat sich durch die Erfahrung der Flucht nicht nur sein Denken, sondern auch sein Schreiben verändert. Der Schriftsteller saß am 25. Oktober in der Münchner Buchhandlung Pfeiffer an einem Tisch mit Silke Kleemann und sprach über sein neu erschienenes Buch „SALEM YAMEN. LIEBER SAID“. Mit dem Publikum diskutierten sie über Sprache, Zukunft, das Schreiben im Exil und über seinen Dialog mit dem 40 Jahre älteren Dichter SAID.
Vieles hat sich verändert, seit Yamen Hussein im September 2016 als Writers in Exile-Stipendiat genau hier saß, in der Buchhandlung Pfeiffer in der Münchner Hohenzollernstraße. Damals saß er auch an jenem kleinen Tisch, das Publikum rechts und links von ihm. Mit ihm am Tisch saß Fridolin Schley, heute ist es Silke Kleemann. Eines fällt sofort auf: Er spricht nicht mehr Arabisch und wird übersetzt, sondern wählt seine deutschen Worte selbst, sorgsam und bedacht fließen sie durch das Gespräch. Mehrere Veröffentlichungen, eine Radioproduktion mit Cornelia Zetzsche vom Bayerischen Rundfunk, zuletzt eine Lesung im Literaturhaus – das alles kann er in diesen zwei Jahren für sich verbuchen. Er konnte seinen Weg als Autor weitergehen. Verändert hat sich nicht nur sein Denken durch die Erfahrung der Flucht, sondern auch sein Schreiben, und das liegt nicht zuletzt an seinem neuesten Werk, das an diesem Abend vorgestellt wird.
„SALEM YAMEN. LIEBER SAID“, ist seine jüngste Veröffentlichung, entstanden auf Initiative des PEN-Programms „Writers in Exile“, in Kooperation mit dem Literaturhaus München und dem Bayerischen Rundfunk. Und geschrieben, wie Yamen Hussein erzählt, nicht nur als Dialog zwischen ihm und dem fast 40 Jahre älteren Dichter SAID, sondern geschrieben von vier Künstlern. Die Übersetzerin Leila Chammaa übersetzte Yamens Texte vom Arabischen ins Deutsche für SAID und hakte dabei immer wieder nach, feilte mit an den Formulierungen. Vom Deutschen ins Arabische übertragen wurden SAIDs Texte durch Kenan Khadaj. Und beides half Yamen Hussein, seinen Weg in die deutsche Sprache zu finden. „Mir ist und bleibt aber wichtig, die alte arabische Sprache ins Leben zu holen und am Leben zu halten. Ich sehe mit Sorge, wie arabischsprachige Kinder ihre Sprache nach der Migration verlieren, was ihre Beziehungen zu Eltern und Familie viel schwieriger macht.“
Ein wenig schreibt er auch schon auf Deutsch, aber was, das bleibt noch privat. „Ich bin Araber und habe viel Zeit, ich lasse die Zeit kommen. Ob ich in ein oder zwei Jahren auf Deutsch schreiben werde, das weiß ich heute nicht, ich mache keine genauen Pläne für die kommenden Monate, wie es hier gemacht wird“, erzählt er, erntet Lacher aus dem Publikum. Gleich wird er ernst und fügt an: „Bei uns, unter Bombenhagel, macht man keine Pläne für morgen oder übermorgen, wir denken an die nächste Sekunde, dann die nächste Stunde.“ Könnte er sich etwas wünschen für die Zukunft, dann wäre es ganz sicher eines: Freiwillig entscheiden zu können, wo und wie er leben möchte. Aufhören, ein Flüchtling zu sein. Denn das war auch das Thema des ersten Briefwechsels mit SAID, der von sich selbst sagt, er sei ein Flüchtling seit beinahe 50 Jahren.
Im Buch gibt es eine kleine Gedichte-Trilogie, die im Januar 2017 entstand, als Aleppo belagert wurde und – wie Yamen Hussein meint – Syrer überall, mitfühlende Menschen generell, ihre Hoffnung verloren, weil alle Welt nur zusah und niemand eingriff. Yamen Hussein rechnete in dieser Zeit ab mit der Religion, mit der Politik, fand dann aber seine eigene Hoffnung wieder, in der Liebe. Denn, wie er sagt, in seiner eigenen Hoffnungslosigkeit erinnerte er sich immer wieder daran, dass man selbst für Hoffnung sorgen müsse. Er wollte nicht vergessen, dass auch aus Schlechtem Gutes werden könne und dass es ihm selbst gut gehe. In dieser Zeit musste er besonders an andere Künstler denken, die zur gleichen Zeit Gedichte auf die Häuserwände Aleppos sprühten, bevor sie ihre Häuser für immer verließen.
„Ich trainiere meine Seele, damit sie nicht die Schönheit vergisst, die ich in meinem Land kennengelernt habe. Und damit sie die neue, andere Schönheit hier aufnimmt“, schrieb Yamen Hussein an SAID. Und eine Seite weiter erzählt ein Gedicht von den seinen beiden Bibliotheken, zwei Holzregalen mit Büchern. Das eine habe er zurückgelassen, das andere wachse hier langsam heran. „Ich und die Bücher, wir haben kein festes Zuhause, aber das stört uns nicht, denn die Wörter und ich lieben es zu wandern, nichts zu besitzen und nicht besessen zu werden.“ Dieses „nicht besessen werden“ erzählt vielleicht vom ewigen Ringen darum, weiterzumachen, sich nicht die Hoffnung nehmen zu lassen. Und erinnert damit auch das Publikum, inmitten erlesener Bücher in der Buchhandlung Pfeiffer sitzend, an den Wert der Literatur gerade in schnelllebigen Zeiten. Silke Kleemann erzählt, dass gerade Yamen Husseins und SAIDs Buch Fragen in den Leser*innen wecken kann und dazu einladen, den Dialog weiterzuführen.
Seine Kraft, weiterzumachen, habe er von seiner Mutter mitbekommen, erzählt Yamen weiter. Sie habe ihm immer gesagt, dass schreckliche Dinge nicht bleiben können, dass sich immer alles wandelt. Und diese Mutter, inzwischen etwas krank, will ihren Sohn wiedersehen. Im November wird es soweit sein, nach über sieben Jahren Trennung. Yamen Hussein erzählt davon, dass ein Wiedersehen für sie nur nach Überwindung unendlich großer Hürden möglich sei – eine beschwerliche Fahrt zur Botschaft, zähes Warten auf ein Visum, eine Reise nach Kurdistan, drei Wochen Beisammensein mit dem Sohn, dann der wieder drohende Abschied. Er berichtet davon, meint er, weil es wie ihm und seiner Mutter damit wie so vielen anderen Menschen derzeit ginge, die irgendwo auf der Welt ihre Nächsten haben und sie bedingt durch Krieg und Bürokratie nicht treffen können.
Es war eine Rückkehr an die Isar für Yamen Hussein, der für einen Tag aus seiner neuen Stadt Leipzig gekommen war. Noch immer, sagt er, wäre er gerne das rechte Ufer der Isar, wie er im vergangenen Jahr in einem Gedicht schrieb, das von seinem Weiterwandern erzählt. „Aus Wörtern errichte ich Cafés und Apfelhaine, baue an den Ufern des Gedächtnisses einen neuen Traum, vergesse nicht den Tummelplatz der Kindheit, werde in jedem Land neu geboren.“ Bisweilen sind es Dialoge und Menschen, die zuhören, die ihn auf diesem Weg begleiten, wie der Abend eindrücklich zeigte. Und zwei Jahre nach der ersten Meet Your Neighbours-Veranstaltung mit Yamen Hussein dankte Silke Kleemann den Leuten, die in die Buchhandlung gekommen waren – dafür, dass sie sich immer noch und immer wieder Zeit nehmen für Abende wie diesen, zuhören, wenn von oft auch unbequemen Dingen erzählt wird.