Ein Gespräch über den Beruf der Lehrer*in in Syrien und Deutschland. Im Rostocker Frauenkulturverein Die Beginen e.V. sprachen am 11. Januar 2019 Rania al-Masri, Dalin Mohamed und Juliane Zellmer über ihre Erfahrungen, Überzeugungen und persönlichen Geschichten als Lehrerinnen in Syrien und in Deutschland.
Von: Linda Stein
Fotos: Christiane Zenkert
Der Raum ist gut gefüllt, ein Buffet mit Kaffee, Tee, Obst und Kuchen steht bereit. Auf dem Podium nehmen drei Lehrerinnen, eine Dolmetscherin und die Moderatorin des Abends, Tahera Ameer, platz. Das überwiegend weibliche Publikum wartet gespannt, ein Kind lacht laut, die Veranstaltung beginnt. Nach der herzlichen Begrüßung seitens Libera Mecklenburg-Vorpommern e.V., Die Beginen e.V. und WIR MACHEN DAS, beginnt Tahera Ameer die Gesprächsrunde mit einer Erklärung: „Man ist nicht nur das Eine“, man sei nicht nur Migrantin oder geflüchtet, man sei vieles und unter anderem Lehrerin. So wie die Frauen auf dem Podium.
Dalin Mohamed hat an einer Privatgrundschule in Aleppo in allen Fächern unterrichtet. Sie hat Literatur studiert. Rechts neben ihr sitzt Rania al-Masri. Auch sie hat Literatur studiert und Englisch. In Damaskus hat sie als Englischlehrerin an zwei Privatgrundschulen und einem Kindergarten gearbeitet. Rechts von Tahera Ameer sitzt Juliane Zellmer. Sie ist Lehrerin an einer integrierten Gesamtschule in Rostock. Dort unterrichtet sie Englisch und evangelische Religionswissenschaft. Auch Hend Aldamen, die in der Mitte der Runde sitzt, hat Erfahrungen im Unterrichten. Sie ist Dozentin für Agrikultur und übernimmt an diesem Abend die Rolle der Dolmetscherin.
Auf die Frage, wie die Frauen zu ihrem Beruf gekommen sind, antworten sie sehr unterschiedlich. Bei Dalin Mohamed kam der Wunsch bereits durch eine ihrer eigenen Lehrerinnen auf, die sie sehr geliebt hat. Für Rania al-Masri hatte die Entscheidung mit der Überzeugung zu tun, dass der Beruf der Lehrerin ein guter Beruf für Frauen in Syrien und für sie persönlich der beste sei. Juliane Zellmer hingegen hatte eigentlich keine Lust, Lehrerin zu werden: Sie sie „da rein geschliddert“. Erst im Referendariat merkte sie, wie viel Freude ihr das Unterrichten bereitet.
Die Aufgabe von Lehrerinnen in Syrien sei es, Kindern zu helfen. Wenn die Kinder gut gebildet seien, dann ginge es der Gesellschaft gut, da sind sich Rania al-Masri und Dalin Mohamed einig. Das Ansehen des Berufs variiere jedoch. Lehrerinnen verdienten vergleichsweise wenig. Eines Tages schlägt ihr Mann Rania al-Masri sogar vor, lieber zuhause zu bleiben, statt für so wenig Geld arbeiten zu gehen. Doch Rania al-Masri will arbeiten gehen. Es mache sie stolz zu sehen, wie sich die Kinder entwickeln. Vor allem in ihrer Arbeit mit autistischen Kindern freue sie sich über die Ergebnisse, die nach einiger Zeit sichtbar werden. Auch Juliane Zellmer sind gemischte Reaktionen zu ihrem Berufsfeld nicht fremd. Lehrerin zu sein, das habe in Deutschland immer etwas mit Idealismus zu tun und eine Berufung gehöre wohl auch dazu.
Einigkeit herrscht, als es um die Frage geht, was wichtig an dem Beruf als Lehrerin ist. Alle drei Frauen betonen, dass man die einzelnen Persönlichkeiten fördern, Stärken und Schwächen erkennen und den Kindern Orientierung geben müsse. Es ginge nicht nur um eine schulische Bildung, die Kinder müssten auch emotional gebildet werden und Erfahrungen sammeln, die sie nicht nur im Schulgebäude machten. Juliane Zellmer ist es besonders wichtig, den Kindern Haltung, Neugierde, ein bestimmtes Menschenbild und Toleranz zu vermitteln. Dies habe wohl auch damit zu tun, dass sie Religion unterrichtet. Damit die Kinder individuell gefördert werden können, sei natürlich auch der Austausch mit den Eltern ausschlaggebend, betonen sowohl Dalin Mohamed als auch Juliane Zellmer.
Als Rania al-Masri zu den Klassengrößen in Syrien kommt, spricht sie das erste Mal auch vom Krieg. Denn eigentlich liegt die Anzahl von Schüler*innen einer Klasse bei 28 – 35 Kindern. Seit dem Krieg ist das anders, in einer Klasse sitzen nun 50 – 70 Kinder. Doch trotz dieser Umstände hören die Kinder zu, sie respektieren die Lehrerinnen und folgen dem Unterricht.
Das Beispiel von Rania al-Masri bringt die Gruppe auf dem Podium zu dem Thema Respekt. Rania al-Masri und Dalin Mohamed zeichnen fröhlich ein Bild von Schüler*innen, die vor allem von ihren Eltern zu Hause lernen, wie wichtig es sei, die Lehrerin zu respektieren und sich zu benehmen. Im Raum herrscht nun heitere Stimmung, es wird gelacht. Einige der Frauen aus dem Publikum scheinen an persönliche Erlebnisse erinnert und mit Rania al-Masri und Dalin Mohamed übereinzustimmen. Juliane Zellmer schaltet sich ein. Die Kontrolle durch das Elternhaus nehme in Deutschland ab. Die Eltern würden sich immer mehr aus der Erziehung zurückziehen. Langsam ließe sich eher von einem Erziehungsauftrag der Lehrenden, als von einem Bildungsauftrag an den deutschen Schulen sprechen.
Dann richtet sich Tahera Ameer ausschließlich an Rania al-Masri und Dalin Mohamed. Sie stellt Fragen zum Krieg. Was hat sich verändert, wie war der Alltag als Lehrerin in Aleppo und Damaskus? Als die Armee nach Aleppo kam, hat Dalin Mohamed ihre Wohnung 40 Tage nicht verlassen und nicht mehr weiter als Lehrerin arbeiten können. Dann ist sie geflohen. Rania al-Masri hat weiter gearbeitet. Seit dem ersten Tag des Krieges sei alles anders gewesen. Der Schulweg dauerte statt 20 Minuten jetzt 1- 3 Stunden. Lehrer mussten zur Armee, Eltern wurden eingesperrt. Die Kinder schliefen wenig, Soldaten kontrollierten Schulbusse. „Es gab so viel Angst“. Im Unterricht wurde besprochen, wie man sich bei Angriffen schützen könne. Bis heute können viele Kinder in Syrien nicht zur Schule gehen.
Zur Veranschaulichung ihrer Arbeit in Syrien hat Rania al-Masri Fotos und Videos mitgebracht, die sie mit dem Publikum teilt. Sie erklärt den Unterschied zwischen Privatschulen und öffentlichen Schulen in den großen Städten Syriens und zeigt dazu Bilder der Klassen, in denen sie unterrichtet hat. Auf einem Bild strahlt eine Gruppe von Kindern in die Kamera, alle tragen Weihnachtsmützen und stehen in einem geschmückten Raum. An der Privatschule, an der Rania al-Masri gearbeitet hat, wurden alle Feiertage gefeiert, die muslimischen und die christlichen, obwohl nur zwei christliche Kinder in der Klasse waren. Es ging um die Freude, die die Kinder daran hatten. An öffentlichen Schulen sei so etwas nicht möglich. In einem der Videos hört man einige Kinder Englisch sprechen. Tahera Ameer macht darauf aufmerksam, wie hoch das Sprachniveau der 12-jährigen Kinder sei. Rania al-Masri erklärt, dass die Sprachbildung in privaten Kindergärten und Schulen sehr gut sei. Um den Unterschied der Schulformen erkenntlich zu machen, zeigt sie auch Bilder von Jungs in einer staatlichen Schule. Die Kinder werden mit 13 Jahren in Jungen- und Mädchenschulen aufgeteilt. Sie betont die Disziplin, die dort herrsche.
Auf einem Bild ist Rania al-Masris Kindergartengruppe zu sehen. 2015 hat sie dort noch ein paar Wochen gearbeitet. „Ich vermisse die Kinder“ sagt sie traurig, während sie das Foto betrachtet. Ein Video zeigt eine zerstörte Privatschule, das zerstörte Schultheater, die zerstörten Schulräume, Bücher auf dem Boden. Es ist absolut still im Raum.
Im letzten Teil des Abends geht es um das Leben von Rania al-Masri und Dalin Mohamed in Deutschland und um das deutsche Schulsystem. Für beide ist es im Moment unmöglich, wieder als Lehrerinnen zu arbeiten, obwohl sie das sehr gerne tun würden. „Wir haben keine Chance“ sagt Rania al-Masri. Die bürokratischen Hürden seien zu hoch. Die einzige Möglichkeit sei, als Erzieherinnen zu arbeiten. Juliane Zellmer geht darauf ein und betont, wie wichtig es wäre, dass auch syrische Frauen als Lehrerinnen in Rostock unterrichten. Die Schulen sollten sich öffnen, man könne voneinander lernen. Das wäre eine Chance zusammenzuwachsen. Deutschland würde sich selbst Steine in den Weg legen, denn die erfahrenen Lehrerinnen seien ja da. Was auch dieser Abend zeigt.
Auf dem Podium sitzen drei Lehrerinnen. Juliane Zellmer unterrichtet Englisch und geht bald in den Mutterschutz. Ihre Schule sucht nach einer Vertretung. Riana al-Masri ist Englischlehrerin. Doch Riana al-Masri wird nicht eingestellt werden, obwohl sie über Erfahrungen verfügt. Tahera Ameer spricht nun von unsichtbaren Hürden, einem strukturellen Problem, das Diskriminierung bedinge. Alle sind sich einig, dass diese Hürden abgeschafft werden und der Zugang zu dem Beruf erleichtert werden müsste. Denn alle drei Frauen lieben ihren Beruf und diese Liebe ist vor allem durch die Erfahrungen gewachsen, die sie bis jetzt als Lehrerin gemacht haben.