15. März 2016

Die erste arabisch-deutsche Kinderlesung in der Berliner Tucholsky Buchhandlung

Kaum hatte ich die Gummibärchen gegen die Kekse und Datteln ausgetauscht, rauschte sie schon mit einer Schar Kinder zwischen 4 und 12 Jahren in den Laden.

Text: Annika Reich
Berlin 2016. Foto: Patrick Hutsch
Die erste arabisch-deutsche Kinderlesung in der Berliner Tucholsky Buchhandlung. Berlin 2016. Foto: Patrick Hutsch

Wir wussten nicht, wer kommen würde und wie viele. Wir wussten nicht, ob unsere arabischen Plakate in den Heimen der Nachbarschaft die Eltern erreicht hatten. Wir wussten nicht, ob sich die syrischen und irakischen Eltern mit ihren Kindern auf den Weg machen würden – in eine Buchhandlung, die sie nicht kennen. Wir wussten von einigen Kundinnen und Kunden, dass sie mit ihren Kindern vorbeischauen wollten. Das war’s. Wir haben also erst einmal nur 20 Stühle gestellt. Eine halbe Stunde vor Beginn funktionierte der Beamer für das Bilderbuchkino nicht, und uns fiel ein, dass in Gummibärchen Schweinegelatine ist.

Ich lief also zurück nach Hause, räumte unseren Süßigkeitenschrank leer und kam mit Keksen und Datteln zurück. Als ich den Laden betrat, hatte der palästinensische Kameramann, der an diesem Sonntagnachmittag übersetzen sollte, den Beamer zum Laufen gebracht, und der syrische Lehrer, der eine der Geschichten vorlesen sollte, war auch schon da. Er war zwar etwas erstaunt, dass es gleich losgehen sollte, denn er dachte, dass er erst einmal zu einer weiteren Vorbesprechung gekommen war, aber er lachte, blätterte durch das Buch und sagte: Kein Problem.

Eine Kundin hatte mir vormittags noch am Telefon gesagt, dass sie einfach in die Notunterkunft um die Ecke fahren würde, in der sie wöchentlich mit den Kindern spiele, und alle Kinder in ein Großraumtaxi setzen, die zur Lesung mitkommen wollten. Anders funktioniere das meist nicht so gut. Spontan sei am besten, und viele Kinder langweilten sich in den Heimen sowieso. Kaum hatte ich die Gummibärchen gegen die Kekse und Datteln ausgetauscht, rauschte sie schon mit einer Schar Kinder zwischen 4 und 12 Jahren in den Laden.

Esra Al Heale, die junge, schwangere Mathematiklehrerin aus Mossul hatte ein rotes geblümtes Kleid an, sah wunderschön aus und hatte diesen humorvollen Blick, den ich an ihr so mochte. Ihr Mann Radwan begann mit dem Buchhändler Jörg Braunsdorf mehr und mehr Stühle aus dem Kabuff hinter dem Laden nach vorne zu tragen. Die Buchhandlung füllte sich so schnell, dass wir den Teppich aus dem hinteren Bereich vor der Leinwand ausrollten und Kissen auf dem Boden verteilten. Die Kekse waren weg, bevor die letzten Gäste eingetroffen waren. Es waren dreimal so viele Menschen gekommen wie wir gedacht hatten.

Katja Schreiber, Drehbuchautorin, las mit ihrer tiefen Stimme im Wechsel mit Tameem Mhanna, dem syrischen Lehrer »Sonne und Mond: Wie aus Feinden Freunde wurden«, ein zweisprachiges Märchenbuch aus der Edition Orient des berühmten ägyptischen Illustrators Ihab Schakir vor. Die Originalausgabe wurde in Ägypten mit dem höchsten Staatspreis für Kinderliteratur ausgezeichnet. Den Kindern war das egal, sie staunten die Bilder an und hörten gebannt zu, denn in der Geschichte krachte es gewaltig.

Nach einer kurzen Pause, in der es nur noch Datteln und Saft gab und noch mehr Familien eintrudelten, ging es mit dem sehr lustigen Buch von Rania Zaghir und Racelle Ishak weiter: „Wer hat mein Eis gegessen?“

Stefan Trudewind, der Verleger der Edition Orient fragte die Kinder, was Eis auf Arabisch heiße. Dann bat er die deutschen Kinder während des Zuhörens bei dem Wort „Busa“ die Finger hochzustrecken und die arabischen bei dem Wort „Eis“. Das machte allen Spaß. Nächstes Mal würde ich so etwas bei allen Geschichten machen.

Tanja Székessy, Illustratorin und selbst Kinderbuchautorin, las die deutsche Version mit verstellten Stimmen und Esra schmunzelte, während sie die arabische las.

Mein Mann lief nach der letzten Zeile der Eis-Geschichte zum Cafè nebenan und kam mit Schokoladencroissants zurück, die nach eineinhalb Minuten auch schon wieder aufgegessen waren.

Viel schöner kann ein solcher Nachmittag nicht sein. Und es war so einfach. Ich werde „Busa“, das arabische Wort für Eis nie vergessen und alles beim nächsten Mal wieder genau so machen – nur Kekse gibt es dann fünfmal so viele.


Aus diesen Büchern wurde vorgelesen:

Samira Schafik: „Sonne und Mond: Wie aus Feinden Freunde wurden“, illustriert von Ihab Schakir, aus dem Arabischen von Petra Dünges, zweisprachig Arabisch/Deutsch, Edition Orient, Berlin, ISBN 978-3-922825-89-0, 32 Seiten.

Rania Zaghir: „Wer hat mein Eis gegessen?“, illustriert von Racelle Ishak, aus dem Arabischen von Petra Dünges, zweisprachig Arabisch/Deutsch, Edition Orient, Berlin, ISBN 978-3-945506-02-8, 20 Seiten.