In der Buchhandlung Mierhoff&Fischer in Bochum wird heute nicht gelesen, sondern diskutiert. Um Migrant*innen den Einstieg in den Schuldienst in NRW zu erleichtern, haben die Ruhr Universität Bochum sowie die Mercator- und die Hertie-Stiftung das Programm Lehrkräfte Plus ins Leben gerufen. An diesem Abend sprechen die Teilnehmer*innen Forough Khastkhodaie und Osman Yousufi, die Projektkoordinatorin Marie Vanderbeke und der ehrenamtliche Mitarbeiter Heinz Dorlöchter über die ersten Erfahrungen in diesem Pilotprojekt, den Lehrer*innenberuf im Iran, in Syrien und in Deutschland und die besondere Vorbildfunktion von Migrant*innen als Lehrer*innen.
Die Veranstaltung fotografierte für uns die Fotografin Anna Spindelndreier.
Von Tobias Scholz, 03.04.2020
Forough Khatskhodaeie hat im Iran als Physiklehrerin gearbeitet. Für sie war die Aufnahme in das Programm unglaublich wichtig, nach Jahren der Unsicherheit in Bezug auf ihren Status und ihre berufliche Perspektive. Der Austausch und die gemeinsamen Erfahrungen im Kreis ihrer Kolleg*innen haben ihr enormen Halt gegeben. Noch ist es für sie vollkommen unklar, wie es weitergehen wird. Doch es gibt eine Struktur, die bleibt.
Tobias Scholz war für WIR MACHEN DAS aus Berlin angereist, und moderierte die Veranstaltung. Er erfuhr, dass es für Migrant*innen eine besondere Hürde ist, in zwei Fächern als Lehrer*innen qualifiziert sein zu müssen. Im Programm wird der Fokus zunächst nur auf ein Fach gelegt, in Verbindung mit der Vermittlung grundlegender pädagogischer und didaktischer Kenntnisse. Tobias Scholz wies darauf hin, dass es in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise eine solche Struktur nicht gibt und der politische Wille dazu in den Bundesländern offenbar nicht gleich verteilt ist.
Einer der ersten Teilnehmer des Programms Lehrkräfte Plus, ein Lehrer der Anne-Frank-Realschule in Bochum, berichtete von der Erfahrung, zum ersten Mal vor einer deutschen Schulklasse zu stehen. Er sei dabei erst einmal mit der eigenen Prägung und der Art, wie er selbst Schule erlebt habe, konfrontiert gewesen. Trotzdem würden die Teilnehmer*innen im Programm fraglos annehmen, Pädagog*in in Deutschland zu sein.
Osman Yousufi ist in Syrien als Physiker und Physiklehrer tätig gewesen. Als er im ersten Schulpraktikum im Programm den Physiksaal und den Materialraum der Schule betrat, konnte er es kaum glauben. So eine Ausstattung sei in Syrien der Traum jedes Physikers. Immer wieder fragt er sich: Wie kann ich meine eigene Begeisterung für Physik mit meinen Schüler*innen teilen? Außerdem thematisiert Osman, auch stellvertretend für seine Kolleg*innen im Programm, seine Beobachtung, dass er für Kinder mit arabischen Familien ein Vorbild ist. Die Botschaft an sie ist denkbar einfach: Ich kann es auch schaffen.
Es sind noch viele Weichen zu stellen, bis die neuen Lehrkräfte vor der Klasse stehen werden, berichteten die Programmkoordinatorin von Lehrkräfte Plus, Marie Vanderbeke und Heinz Dorlöchter, der die Teilnehmer*innen als Mentor begleitet. Zwar sei der Bedarf an Lehrkräften in Nordrhein Westfalen noch langfristig hoch und die ersten Erfahrungen im Projekt durchweg positiv, aber es sei eben auch ein langer Weg, das Programm zu institutionalisieren. Derzeit können 25 Migrant*innen pro Jahrgang teilnehmen, im ersten Jahr gab es aber fast 800 Bewerbungen.
Im Publikum war man sich einig, dass ein Seiteneinstieg von Migrant*innen derzeit vor allem durch persönliche Kontakte und Initiativen sowie Schulleitungen, die sich um kurze Wege bemühen und bei der Einsatzplanung erfinderisch sind, ermöglicht wird. Doch mittelfristig sollte eine Struktur aufgebaut werden, die mehr Sicherheit und Planbarkeit bietet.
Eine Institutionalisierung des Seiteneinstiegs von Migrant*innen wäre auch hilfreich, um in den Kollegien an den Schulen zu verdeutlichen, dass die neuen Lehrkräfte eben keine Praktikant*innen oder Aushilfen sind, sondern vollwertige Lehrer*innen. Mit dem Lehrkräfte Plus Programm ist zumindest in Nordrhein-Westfalen ein großer Schritt in diese Richtung unternommen. Mit der Zeit wird sich die Präsenz dieser Kolleg*innen in den Schulen zur Normalität entwickeln. Das spüren alle an diesem Abend Beteiligten. In diesem Prozess sind die Teilnehmer*innen des Programms gerne die Vorreiter*innen.