13. November 2017

Meet your neighbours zu Gast beim globale° Festival in Bremen

Schon zum 11. Mal fand im November das interkulturelle globale° Festival für grenzüberschreitende Literatur in Bremen statt. Es sind bekannte Autoren wie Michael Stavarič und Ilija Trojanow eingeladen – und auch hierzulande neue, vielversprechende Dichter wie Noor Kanj und Galal Alahmadi.

Text: Tanja Dückers
Foto: Sebastian Heidelberger
Teilnehmer des Workshops in Bremen. Foto: Sebastian Heidelberger
Teilnehmer des Workshops zum Thema Übersetzung in Bremen.

Das Café, in dem Galals und meine Veranstaltung stattfindet, ist ein schöner, uriger alternativer Ort mit gemütlichen Sofas und Sesseln. Im Publikum sitzen junge Leute, einige wohl von der Uni. An der Toilette steht statt den üblichen Mann-Frau-Schildern „EGAL“ und „Sexistische Kackscheiße“. Während ich mir noch überlege, wie ich Galal dies übersetze, beginnt schon die erste Veranstaltung im Rahmen des ganztägigen Workshops zum Thema Übersetzung, den Dr. Elisabeth Arend von der Universität Bremen leitet.

In den folgenden zwei Stunden geht es um die Gebärdensprache. Erst vor 15 Jahren – 2002 – wurde sie offiziell als eigenständige Sprache – und nicht nur wie bisher marginalisiert als Vehikel für Menschen mit einem „Defekt“ – anerkannt. Wir staunen anhand von Filmen wie Gedichte von Celan und Gomringer in Gebärdensprache übersetzt wurden und wie unterschiedlich verschiedene Interpreten diese Übersetzungen aufgeführt haben. Das performative Element lässt die Übersetzung zum gestisch-tänzerischen Ganzkörpererlebnis werden. Es geht auch umgekehrt: Gedicht-Performances in Gebärdensprache werden in Schriftsprache übersetzt. Und wir erfahren, dass die Gebärdensprache nicht international ist: So wurde neulich auf einem Kongress die kanadisch französische Gebärdensprache in die des europäischen Französisch übersetzt. Eine Art Esperanto der Gebärdensprache hat sich noch nicht richtig etabliert. Schon sind wir bei dem Thema Grenzen, Kulturräume und Beschränkung auf Nationalsprachen – was zu unserem Auftritt am Nachmittag sehr gut überleitet.

Vor Galal und mir sprechen die Berliner Schriftstellerin Tanja Langer und der aus Kabul zugeschaltete Kollege David Majed über ihr gemeinsam verfasstes Buch „Der Himmel ist ein Taschenspieler“, an dem sie drei Jahre, meist in verschiedenen Ländern, gearbeitet haben. Bald geht es weniger um praktische Aspekte dieser Doppel-Autorenschaft, sondern um kulturelle Unterschiede. Tanja Langer berichtet beispielsweise, wie sie sich von David oft „mehr Kritik“ an staatlichen Repräsentanten – wie Diplomaten – gewünscht hätte. In Deutschland würde man gern einen kritisch-ironischen Blick auf alles „Offizielle“ und Staatstragende werfen. David hätte hier mehr Respekt und hätte den Tonfall nicht ändern wollen. Hinzu kam, dass er sich mit allzu saloppen Äußerungen nicht in Afghanistan gefährden wollte. Tanja Langer wiederum wäre gern nach Afghanistan gereist, aber die soziopolitische Situation war ihr zu heikel. Ihre drei Töchter waren auch „nicht begeistert von der Vorstellung, dass ihre Mutter während sie unter Anderem fürs Abi pauken, sie allein lässt, um sich in Kabul herumzutreiben“, so Tanja Langer. Also musste David ihr seine Umgebung sehr genau beschreiben.

Galal und ich sprechen nun mit Elisabeth Arend über unsere gemeinsame Arbeit an seinen wunderbaren Gedichten: wie wir uns im Berliner „Haus für Poesie“ im Rahmen eines Versschmuggel-Projekts kennengelernt haben, weil der schon vor zwanzig Jahren von Damaskus nach Deutschland ausgewanderte Schriftsteller Douraid Rahhal das Gefühl hatte, wir hätten ähnliche Themen, einen bisweilen verwandten Stil und könnten uns gut verstehen. Recht hat er gehabt! Wir sprechen über das Übersetzen, wenn beide Beteiligte die Sprache des Anderen nicht beherrschen und auf Dolmetscher angewiesen sind. Wie funktioniert dieses Arbeiten mit einer sprachlichen Lücke, einer menschlichen Brücke? Wir erzählen von den Rohübersetzungen, die als Grundlage für meine Nachdichtungen von Galals Gedichten gelten und wie wir uns mit Hilfe von Dolmetschern zum Teil Wort für Wort voranarbeiten. Dabei kommen Fragen auf wie: „Bei dir heißt es, der Scharfschütze würde nach getaner Arbeit zuhause ‚kopulieren’. Hast du diesen Begriff aus der Tierwelt absichtlich verwendet? Oder hat der Übersetzer hier nur eine von vielen Möglichkeiten gewählt und dir ging es nicht so sehr um die animalische Konnotation?“ Oder: „Bei dir tauchen in diesem Gedichte mehrfach Fische auf – immer in bedeutungsvollem Zusammenhang. Im Christentum steht der Fisch als Symbol sowohl für Christus als auch für das Leben an sich. Hat der Fisch im Islam auch eine besondere Bedeutung?“ Sprachen sind nie deckungsgleich – sie überschneiden sich in ihrem Wortschatz in einigen Bereichen, in anderen unterscheiden sie sich stark voneinander. So erfahre ich, dass es im Arabischen an die sieben verschiedene Worte für Himmel gibt, und mehrere Worte für „hinaufsteigen“, je nachdem in welchem Kontext das Wort vorkommt: Hinaufsteigen im spirituellen Sinne, physisch, auf der Karriereleiter…

Wir lesen zwei Gedichte von Galal „Weniger Hass“ und „Zuhause“. Obwohl der Workshop schon seit sechs Stunden andauert, ist es absolut still im Raum, man spürt förmlich wie gebannt die Zuhörer lauschen. Im Anschluss an den Vortrag folgen einige Fragen aus dem Publikum. Zum Beispiel danach, ob wir uns denn nicht auch mal über eine Wortwahl streiten würden – ob das denn so einfach sei. Wir sehen uns an und zucken die Schultern. Streiten? Galal sagt, er würde mir eben „vertrauen“, und ich sage, dass ich mich bemühe, sehr genau zu eruieren, was Galal meint, um dann seinem poetischen Rhythmus im Deutschen ebenfalls Klang und Takt zu verleihen. Wieder wird gefragt, ob wir bei diesem schwierigen sprachlichen und kulturellen Verständigungsprozess nicht auch in Uneinigkeit geraten, streiten würden. Zwei Schriftsteller, der eine dichtet, der andere setzt seinen Namen unter die Nachdichtung – ? Doch wir schütteln den Kopf. „Ich weiß auch nicht, woran es liegt, dass wir bei diesem zugegebenermaßen störanfälligen Prozess einfach nicht aneinandergeraten“, gebe ich zu. Wir konnten uns bisher einfach immer gut einigen. Auch unsere Übersetzer und Dolmetscher haben bisher keine Eitelkeit an den Tag gelegt, waren ausgesprochen umgänglich.

Das Publikum lauscht, ob es nicht doch noch eine Erklärung für die unter Autoren wohl sehr seltene Friedfertigkeit geben könnte. Schließlich antworte ich psychologisch: „Wir sind beide keine Alphatiere. Die Wahrheit liegt im Kompromiss“. Das Publikum lacht. Man hat verstanden. Es geht uns wirklich um die Texte, nicht um Rechthaberei. Und: Sprache kann sowieso immer nur eine Annäherung an das Unsagbare, von dem die Poesie spricht, sein.