06. November 2018

„Wir sind hier“ Buchpremiere in der Monacensia, München

Das Buch „Wir sind hier. Geschichten über das Ankommen“ versammelt die individuellen Erfahrungen von 38 internationalen AutorInnen. Die Premiere der von Katja Huber, Silke Kleemann und Fridolin Schley herausgegebenen Meet Your Neighbours-Anthologie in der Münchener Monacensia war ein Fest.

Text: Andreas Unger
Foto: Verena Kathrein

Als ich auf den Beginn der Buchpremiere von „Wir sind hier – Geschichten über das Ankommen“ in der Monacensia wartete, konnte ich mir die Buchtitel und Namen von Münchner Autoreninitiativen der letzten Jahre in Erinnerung rufen. Sie zeichnen den Weg von der Ankunft der ersten Geflohenen am Münchner Hauptbahnhof bis ins Jetzt nach.

Es begann mit der Anthologie mit dem schroffen Titel „Fremd“, herausgegeben von Fridolin Schley, in der der Leser Fremdheit als etwas Universales kennenlernte: Fremdsein war plötzlich nicht nur den Angekommenen zueigen, sondern rückte näher, wurde gar zu einer Vertrauten. Dann erschien die Textsammlung „Die Hoffnung im Gepäck“ – das klang vielversprechender, einladender, zukunftsgewandt. Ungefähr zur selben Zeit schlossen sich Münchner Autoren dem Projekt Meet Your Neighbours an.

Hier war Pragmatismus am Werk, hier sollte nicht nur gedacht und geschrieben, sondern gehandelt werden, und zwar durch Denken und Schreiben. Neu zugezogene und alt-Münchner Lyrikerinnen, Übersetzerinnen, Dramaturgen und Autoren lasen in Münchner Buchhandlungen, berichteten von ihren Plänen, suchten Kontakte zu hiesigen Verlagen oder waren dabei, selber welche zu gründen, mischten sich unter die Leute. Den nächsten, gewissermaßen folgerichtigen Schritt beschreibt nun der matter-of-fact-hafte Buchtitel „Wir sind hier“: Erste Person Plural, Indikativ, Präsens. Subjekt, Prädikat, Objekt. Basta.

38 Autoren aus über einem Dutzend Ländern stellen sich und den Lesern Fragen und tun nicht so, als hätten sie eindeutige Antworten auf Fragen wie: Muss man sich für einen neuen Lebensort von der alten Heimat lösen? Kommt man jemals ganz an?

Martin Lickleder sagte einführend, er wisse nicht, wie gut sein Text sei. „Vorlesen lässt er sich beschissen“, schickte er noch vorweg, um sich dann mittels Vorlesens selbst zu korrigieren. Er schrieb über die Liedform und darüber, dass es nicht darauf ankomme, was hinten rauskommt, sondern was dazwischen passiere, denn das Lied kehre ohnehin wieder zur Tonika zurück..Zum Beispiel bei People Get Ready von den Impressions: „Doch dann, in der vierten Zeile, öffnet sich völlig unvermittelt der Himmel: Das Lied schießt in das glorreich hellblaue e-Moll 7 empor, gewährt im Sinkflug auf das majestätische d-Moll 7 einen göttlich schwerkraftbefreiten Blick über die Herrlichkeit der Schöpfung und zwar zu der großartigen, weil gesellschaftliche, juristisch ökonomisch Fesseln konkret und mit der doppelten Verneinung des afro-amerikanischen Slang Idioms benennenden Zeile: Don’t need no ticket …“ Zum Nachhören: https://www.youtube.com/watch?v=l04yM7-BWbg



Besser lässt sich das nicht beschreiben, höchstens singen, weshalb Lickleder und seine Mitmusiker Reza Pezeshki und Martin Pflanzer umgehend bewiesen, dass man die Tonika gar nicht allzu oft allzu weit hinter sich lassen musste, um eine große Reise zu tun. Was einem vielleicht sogar, auf der Rückreise, einen versöhnlichen Blick auf die bayerischste aller Tautologien gewährt: dahoam is dahoam. Mit dabei: die Sängerin Ayeda Alavie, die auch als Autorin schon mehrere Veranstaltungen von Meet Your Neighbours bereichert hat.

Heike Geißler fordert in ihrem Text „Zeit für Zauberer“: „Wir brauchen eine Schule der Solidarisierung. Eine Schule des Mitgefühls. Nicht nur des Mitgefühls für Geflohene, für alle. Wir brauchen auch einen stärkeren Protest, eine Protestroutine. Einen in den Alltag integrierbaren Protest. Schaut man sich die Welt an, darf der Protest kein Sonderfall sein.“

Barbra Breeza Anderson, eine aus Simbabwe stammende Modedesignerin, Lyrikerin und Bloggerin, erzählt in ihrem Gedicht „Alte Düfte von Zuhause“ von ihrer Suche nach dem Vertrauten in der neuen Umgebung:

Suche etwas Normales an einem Ort

wo meine alten Symbole neue Bedeutungen haben

und meine Erinnerungen sich weit durch die Zeit erstrecken.

Dabei hoffe ich die ganze Zeit, dass bald

neue Düfte die alten Düfte von Zuhause werden.

James Tugume lebte als Kind drei Jahre lang in Kampala auf der Straße, arbeitete als Marktverkäufer und wusste morgens oft nicht, wo er nachts schlafen würde. „In der ganzen Zeit hatte ich aber nie das Gefühl, dass mir etwas fehlte oder dass ich Probleme hätte.“ Mittlerweile hat ihn die Liebe nach Deutschland geführt. In ein gefährliches Land: „In den zwei Jahren hier in München hatte ich immer das Gefühl, sehr vorsichtig sein zu müssen, weil es überall gefährlich ist: elektrische Autos, die ich nicht höre, Fahrräder, die rücksichtslos fahren, aggressive Leute auf der Rolltreppe, die links überholen wollen, überall komplizierte Regulierungen, die ich nicht immer verstehe.“

Die türkischstämmige Journalistin Banu Acun wartete mit einer Premiere auf, ihrer ersten deutschsprachigen Veröffentlichung. Sie erklärte den Bio-Deutschen, wie türkischstämmige Deutsche von den Türken wahrgenommen werden. „Almanci“, „Deutschländer“, so heißen sie, es wird vielerorts auf sie herab gesehen: darauf, wie sie ihren in Deutschland erarbeiteten Wohlstand in der alten Heimat zur Schau stellen. Und man mokiert sich über das Türkisch der in Deutschland geborenen, das nicht mehr fließt, sondern ruckelt. Die deutschen Hörer staunen und verstehen plötzlich, dass den so genannte Deutschtürken nicht nur in Deutschland ein Integrationsproblem zugeschrieben wird.

Von zwei Ankommern erzählt Angelica Ammar in „Hier ein Meer, dort eine Fabrik“: von Momar und der Ich-Erzählerin, die an folgender Stelle mit einer großartigen Nebensächlichkeit abgetan wird: „Ich war in Barcelona angekommen, wie man als Europäer eben ankommt. Ich hatte mir eine Wohnung genommen, meinen Computer auf einen Schreibtisch gestellt und weitergearbeitet. Ich hatte ein Kind bekommen, ging mit ihm zum Strand, dem großen Spielplatz der Stadt, und flog in den Ferien quer durch die Weltgeschichte.“ Momar dagegen war über Dakar, Marrakesch nach Barcelona gereist, hatte sein Glück als Straßenverkäufer versucht und nicht gefunden, hatte nebenbei Spanisch und Katalanisch gelernt und die Ich-Erzählerin gefragt: „Warum machst du das?“ Die überlegt: „Wie sollte man erklären, was man für sich selbst nicht in Worte fassen wollte. Das Privilegiertsein. Dass einem all diese Dinge nicht zustoßen konnten, mit denen Momar und die anderen sich tagtäglich herumschlagen mussten. Dass ich mir vermutlich nie in einer leer stehenden Fabrik ein Kabuff bauen würde.“

Es war ein Abend ohne Schlusswort und ohne Moral von der Geschicht – gut so.

Die Anthologie „Wir sind hier. Geschichten über das Ankommen“ mit 38 internationalen Autorinnen und Autoren ist im Nachgang des Festivals Acht Mal Ankommen entstanden, an dem auch das Literaturportal Bayern als Kooperationspartner beteiligt war.

Veranstalter: Monacensia im Hildebrandhaus, Allitera Verlag und WIR MACHEN DAS. In Zusammenarbeit mit der Allianz Kulturstiftung und der Stiftung :do