Kreativität, Geduld und Ermutigung
Von Uta Rüchel
Eigentlich wollten sie sich im „Lokomov“ in Chemnitz treffen. Nun begegnen sie sich zuhause vor dem Bildschirm und das Publikum fehlt, weil öffentliche Veranstaltungen in Zeiten von Corona nicht stattfinden dürfen. Die drei Teilnehmerinnen dieses Abends Rasha Selo, Viktoria Shostko und Eva Schmitt treffen sich in einer Videokonferenz mit der Moderatorin Uta Rüchel, um über den Beruf Lehrer*in zu sprechen. Ein Gespräch unter erschwerten Bedingungen über eigene Lernerfahrungen, die Herausforderungen des Unterrichtens und den Stellenwert von Bildung.
Viktoria Shostko ist in Russland aufgewachsen, hat dort Germanistik studiert, Kindern in Moskau privaten Deutschunterricht gegeben und dabei ihre Freude am Unterrichten entdeckt. Nach einem Aufbaustudium für Deutsch als Zweitsprache in Jena arbeitet sie seit einigen Wochen bei „Angekommen – Angenommen“, einem Integrationsprojekt für Asylbewerber*innen im Fortbildungszentrum Chemnitz, als Projektmanagerin und Deutschlehrerin. Ihr ist es wichtig, dass die Schüler*innen miteinander kommunizieren und der Unterricht nicht so lehrerzentriert ist, wie sie es in ihrer eigenen Schulzeit erlebt hat. Damals ging es eher um Auswendiglernen und weniger um Kommunikation. Dass sie heute selbst unterrichtet, hat auch mit einer Lehrerin zu tun, die sie ermuntert und gefördert hat.
Rasha Selo hat in ihrer Kindheit zwei verschiedene Schulsysteme kennengelernt. Ihre Grundschulzeit verbrachte sie in Kuwait, dann floh die Familie aufgrund des Golfkriegs nach Syrien. Dort studierte sie Englische Literatur, heiratete und zog nach Libyen. Seit 2014 lebt sie mit ihrer Familie in Chemnitz, lernte die Sprache und wollte hier gerne als Lehrerin arbeiten. Dafür musste sie sich als Pädagogin qualifizieren, was für sie als Mutter von drei Kindern ein schwieriger Weg war. Der Zugang zum deutschen Schulsystem ist für sie noch immer steinig. Doch seit einigen Monaten ist Rasha Selo ihrem Traum näher gekommen und unterrichtet Grundschulkinder an der privaten Saxonia International School in Englisch. Sie setzt dabei auf Kreativität, Geduld und die Ermutigung jedes einzelnen Kindes. In ihrer eigenen Schulzeit gab es kaum einen persönlichen Bezug zwischen Lehrenden und Lernenden und auch eine Differenzierung zwischen verschiedenen Lerntypen hat sie nicht kennengelernt. Umso mehr weiß sie eine solche Differenzierung zu schätzen und ist dankbar, dass ihr Vater sie immer wieder dabei unterstützt hat, sich zu bilden und zu lernen.
Eva Schmitt ist in Deutschland aufgewachsen, studierte ein Jahr auf Lehramt und anschließend Medien- und Kommunikationswissenschaften, Anglistik und Soziologie in Darmstadt. Nach verschiedenen Erfahrungen und einer Ausbildung zur Yogalehrerin in Indien fühlte sie sich 2018 bereit, in der Schule zu arbeiten und ging über das Programm teach first an eine Grundschule in Chemnitz. Dort unterstützt sie Kinder beim Lernen, gibt Yogaunterricht, hat die Schulbibliothek zu neuem Leben erweckt und sammelt – gemeinsam mit ihren Schüler*innen – Erfahrungen, wie Achtsamkeit und Meditation in den Schulalltag integriert werden können. Wer anderen etwas beibringen will, muss diese Werte selbst verkörpern, davon ist sie überzeugt. Sie setzt auf kooperatives Arbeiten mit den Schüler*innen und möglichst viel Eigenverantwortung. Viele der Erfahrungen von Viktoria Shostko und Rasha Selo aus ihrer Schulzeit hat auch sie gemacht: die verschiedenen Lerntypen wurden kaum berücksichtigt, das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden war durch Autorität, zum Teil auch Angst geprägt. Im Vordergrund stand die Vermittlung von Wissen und nicht deren Anwendung oder die Förderung der Eigenverantwortung bei den Schüler*innen.
Täglich neue Herausforderungen beim Unterrichten und Anleiten erleben alle drei. Rasha Selo erfährt, wie viel Arbeit es mit sich bringt, den Unterricht individuell zu gestalten und jedes Kind im Blick zu haben. Gerne greift sie auf spielerische Elemente zurück, um die Motivation und Konzentration zu erhalten. Noch kommt sie des Öfteren an die Grenze ihrer eigenen Deutschkenntnisse, aber das stört vor allem sie selbst. Auch Viktoria Shostko erzählt von der Schwierigkeit, Teilnehmer*innen mit sehr unterschiedlichem Sprachniveau in ihre Kurse zu integrieren, zumal diese häufig wechseln. Eine besondere Herausforderung ist es für sie, Menschen zu unterrichten, die zuhause weder lesen noch schreiben gelernt haben. Dafür gab es in ihrer Ausbildung kein Modul – eine Leerstelle, die unbedingt gefüllt werden sollte. Eva Schmitt hat im Kollegium nur weiße Frauen und fragt sich, wie die Kinder lernen können, dass Vielfalt ein Schatz ist, wenn die Segregation der Schulen weiter zunimmt. Die fehlende Vielfalt bei den Lehrenden erleben auch Viktoria Shostko und Rasha Selo. Sie wurden freundlich aufgenommen und fühlen sich wohl mit ihren Kolleg*innen – doch sie sind die Einzigen ohne deutsche Muttersprache und deutschen Pass.
Die Beobachtung, dass der Lehrplan ein einheitliches Niveau der Schüler*innen voraussetzt, das nicht gegeben ist, teilten alle drei Teilnehmer*innen während des Gesprächs. Zum Ende hin gab Eva Schmitt noch ein Beispiel dafür, wie Lernen auch für diejenigen gelingen kann, die im Alltag oft Schwierigkeiten haben, mitzukommen. Angesichts der Schulschließungen in der Corona-Krise griff sie auf das Modell des Tele-Learnings aus den 1980er Jahren zurück und startete mit zehn Kindern ein Leseförderprojekt. Vier Stunden täglich verbringt sie zurzeit am Telefon, die Schüler*innen lesen ihr Sachtexte vor, die sie zuvor geübt haben, bekommen ein Feedback dazu und sind auf einmal erstaunlich motiviert bei der Sache. Woran das liege, fragt die Moderatorin. Sie hätten die Chance, ohne sozialen Druck zu lernen, ohne die Angst, sich zu blamieren – lautet die verblüffend einfache Antwort. Daraus für den Schulalltag taugliche Konsequenzen zu ziehen, wird nicht leicht sein, doch allemal lohnenswert.